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22 November 2017

Memento Mori: Ein Essay von Laura Meis

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Ist das Leben besser ohne den Tod?

Warum ewige Jugend nicht unbedingt ewiges Glück bedeuten muss.

von Laura Meis

Tübingen, am 26. November 2067:

Ein Lufttaxi bahnt sich langsam seinen Weg auf die Stadt zu. Im Inneren sitzt ein junger Mann. Er blickt auf die Stadt unter ihm und erkennt durch die Regenschleier ein Kind, das in einer Pfütze spielt. Ein seltener Anblick. Denn die Regierung hat strenge Regeln und Quoten auferlegt, die bestimmen wie viele Kinder geboren werden dürfen. Der Versuch der Ressourcenknappheit irgendwie entgegen zu wirken. Eine alte Frau tritt auf die nasse Straße und winkt das kleine Mädchen zu sich. Der jungendlich wirkende Mann im Lufttaxi sieht die runzelige Haut und den gebeugten Rücken der alten Frau. Er kann nicht anders, er ekelt sich. Ein Glück, das er das nie erleben muss, denkt er, alt zu werden und sich auch so zu fühlen. Nein er wird immer so aussehen wie jetzt. Dafür hat er schließlich auch gut genug gezahlt…

Für den einen ist diese Zukunftsvorstellung die ersehnte Utopie, für den anderen unerträgliche Dystopie. Ein Leben ohne Altwerden. An dieser Vision arbeiten derzeit Biogerontologen, Forscher des biologischen Alterns. Die Wissenschaftler gehen Fragen nach wie: Welche Prozesse laufen im menschlichen Körper beim Altwerden ab? Kann man den Prozess des Alterns verlangsamen oder ganz verhindern, um ewig jung zu bleiben? Die Biogerontologie ist die Lehre (logos) des Lebens (bios) und des Greises (gerōn). Dabei gibt es drei unterschiedliche Zielströmungen in der Biogerontologie. Zum einem gibt es die Forscher die nach der komprimierten Morbidität streben. Sie sind auf der Suche nach einer Behandlung für altersbedingte Krankheiten. Solche altersbedingten Leiden sind zum Beispiel Krebs, Typ II Diabetes oder Herz-Kreislauf Krankheiten, die immer noch eine der Haupttodesursachen in den westlichen Industrienationen sind. Die Gruppe der zweiten Kategorie befindet sich auf der Jagd nach dem „Stein der Weisen“, nach einem Jungbrunnen, um das Altern aufzuhalten und ewig jung zu sein. Die dritte Strömung versucht das Altern nicht aufzuhalten, aber zu verlangsamen und so altersbedingte Krankheiten hinauszuzögern. Es ist im Moment noch nicht genau entschlüsselt, was bei uns im Körper eigentlich passiert, wenn wir altern. So lässt sich schwer eine Hypothese für die Zukunft treffen. Das Rätsel um das Altern versuchen Menschen nun schon seit dem Aufkommen von Kulturen zu lösen. Immer mit dem Ziel Gevatter Tod zu besiegen.

Auch wenn die biochemischen Prozesse selbst noch nicht genau entschlüsselt wurden, ist es Forschern in Versuchen dennoch gelungen, das Leben von Kleintieren zu verlängern und die Altersgebrechlichkeit zu verringern. Wie wäre es dann mit einer Pille für den Menschen gegen das Altwerden? Was sich nach reinster Zukunftsmusik anhört, ist die tägliche Arbeit der Forscher von „Calico“. Die Biotech-Firma des Mutterschiffs „Google“ forscht an einem Mittel gegen das Altern. Aber wie sinnvoll wäre das Mittel für den Menschen wirklich? Ist es  so einfach: Ewige Jugend = ewiges Glück?

Wenn es so ein Mittel gäbe, würde es meine Großmutter wohl nehmen. Sie liegt seit längerem in einem Pflegeheim und ist einfach lebensmüde. Sie ist geistig noch sehr agil, doch ihrem Körper schwindet die Kraft. Wie wäre es dann mit einer kleinen Pille, die sie gesund altern ließe? Sie auch mit 90 Jahren die Urenkel auf den Spielplatz bringen und zu ihrem 100. Geburtstag zu einer Weltreise aufbrechen könnte? Und mit 120 würde sie friedlich einschlafen, ohne eine lange, schmerzhafte Krankheit in den Jahren zuvor. Noch aktiv und gesund im Alter zu sein, würde die Lebensqualität immens verbessern. Das würde bedeuten, dass es weniger einsame Menschen im hohen Alter geben würde da es noch leichter wäre, Kontakte zu pflegen und Ausflüge zu unternehmen.

Der Versuch das Altern und den Tod komplett abzuschaffen, mag sich phantastisch anhören. Doch die Natur bietet bereits Hinweise, dass gerade dies möglich sein könnte. Forscher fanden in der Antarktis einen Schwamm, der bereits 10.000 Jahre alt ist. Wie weit ist es dann noch bis zu einem Mensch der 10.000 Jahre alt werden kann? Generell unterscheiden sich die Lebensspannen von verwandten Spezies enorm. Mäuse werden ohne natürliche Feinde bis zu vier Jahre alt, der älteste Mensch wurde 122, Grönlandhaie werden über 400 Jahre alt. Vielleicht ist es dann auch möglich, die menschliche Lebensspanne gesund zu verlängern, oder sogar ewig jung zu bleiben. Doch die Hürde bis dahin ist groß.

Denn im menschlichen Körper scheint eine Art „Selbstmörderprogramm“ eingeschrieben zu sein. Der Körper zerstört sich im Alter nämlich selbst. Reparaturmechanismen nehmen ab, Zellen teilen sich nicht mehr so häufig und weniger neue Zellen entstehen. Der Großteil der Forscher ist sich sicher, dass wahrscheinlich nie ein Jungbrunnen gefunden wird. Die größten Chancen auf Erfolge wird der dritten Gruppe von Biogerontologen zugeschrieben, die versuchen, das Altern nicht aufzuhalten sondern zu verlangsamen. Es ist ein Versuch  dem Alter davon zu laufen, doch am Ende wird es uns doch einholen. Zusammen mit all den  Krankheiten, die im Alter häufig auftreten. Wenn es uns nicht gelingen sollte ein Mittel gegen eben diese altersbedingten Krankheiten zu finden, bleibt das Ergebnis am Ende das Gleiche. Wir bekommen vielleicht mehr aktive Zeit im Alter, dennoch leiden und sterben wir am Ende an einer Krankheit wie Krebs oder Demenz. Wie sinnvoll ist dann die Suche nach einem  Mittel, das die Patienten zwar länger leben lässt, sie aber dennoch an den selben, qualvollen Krankheiten sterben wie bisher?

Der Wunsch das Altern abzuschaffen rührt daher, dass im Westen das Alter meist mit Negativem assoziiert wird. Mit Gebrechlichkeit, Einsamkeit und Armut – ein solches Individuum scheint nicht mehr nützlich für die Gesellschaft zu sein. In Zeitschriften, in der Werbung und im Internet wird man stets mit schönen gesunden jungen Menschen konfrontiert. Die möglichst noch schöner, gesünder und jünger sein möchten. Die neusten Anti-Aging Produkte versprechen zu helfen. Der Tod und das Altern werden verdrängt und tabuisiert. Sie waren in unserer Gesellschaft jedoch nicht immer so fremd wie heute. Noch vor 100 Jahren herrschte ein ganz anderes Bild. Man konnte dem Beginn des Lebens und dem Tod in ein und demselben Haus begegnen, ja sogar im gleichen Zimmer. Die gesellschaftlichen Strukturen haben sich seit dem stark verändert, auch die Biomedizin hat enorme Fortschritte gemacht. So kommt es, dass der Tod heute am häufigsten in Krankenhäusern oder Pflegeheimen stattfindet. Der Tod wurde „outgesourced“. Und mit ihm auch das Altern, als dessen unheilbringender Vorbote.

93 Prozent aller Menschen, die jemals auf dieser Welt geboren wurden, sind bereits tot. Führt man sich diese Größenordnung vor Augen wird der Tod zu etwas Banalem. Der Tod wird zu etwas, der zum Leben dazu gehört, der den Kreislauf schließt. Genauso steht es um das Altern. Das Alter als eine Phase im Leben, in der man zu Ruhe kommen kann. Die neue Einsichten auf das Leben geben und man sich neu ausleben kann. Ich bin mir nicht sicher ob ich diese Chance um jeden Preis aufgeben möchte, nur um mit der Welt und ihren Idealbildern Schritt zu halten.

„Der Tod ist der Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben“ soll Goethe einmal gesagt haben. Der Tod bringt Veränderungen in Gesellschaften. Er ist es, der es ermöglicht, dass die nächste Generation zum Zug kommt und die Welt ein Stück weit erneuern kann. So können wir bestehende Systeme, von der alten Generation errichtet, hinterfragen. Eine neue Generation bekommt die Chance die Welt zu verändern. Falls es jemals möglich sein sollte, den Tod aufzuhalten oder hinauszuzögern, wird eben dieser Generationenwechsel nicht mehr statt finden. Ältere Gesellschaftsschichten würden dann weiter anwachsen. Die Folge wäre, dass die jüngere Generation weit in die Unterzahl geraten würde. Ihre Stimme würde gegenüber der großen Masse an Menschen über 140 nicht mehr gehört werden.

Es käme wohlmöglich zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft: In der einen Gruppe wären diejenigen, die es sich leisten könnten, ein Mittel gegen das Altern zu kaufen. Auf der anderen Seite wären diejenigen, die das nicht könnten. Doch die Folgen wären nicht nur weitreichend für die Gesellschaft und das Zusammenleben an sich, auch die Infrastruktur wäre betroffen.

Nehmen wir einmal an, wir schreiben das Jahr 2047 und die Schlagzeile für den 26. November dieses Jahres lautet: „Forscher in Japan entdecken endlich Mittel gegen Altern – der Tod ist besiegt“. Die Welt würde Kopf stehen. Das einzige im Leben, was neben Steuern als unausweichlich galt, war der Tod. Wie würde sich die Welt verändern? Machen wir noch einen Zeitsprung, weitere 20 Jahre in die Zukunft. Zu dem Mann in dem Lufttaxi, der weiß, er wird immer so jung bleiben und niemals an biologischen Alterserscheinungen sterben. Doch seine Welt hat sich sehr verändert. Da der Tod besiegt ist, existiert eine drastische Überbevölkerung, es gibt einfach zu viele Menschen auf dem Planeten. Daher herrscht eine strenge Geburtenkontrolle. Menschen gibt es zu viele, an allem anderen mangelt es. Es gibt zu wenig Lebensraum, Trinkwasser und die Nahrung wird knapp. Auch die Ölreserven sind fast verbraucht. Die Klimaverschmutzung würde weiter zunehmen. Wäre das ein Leben, nach dem es sich zu Streben lohnt? Vielleicht hätten wir das einprogrammierte „Selbstmordprogramm“ in unseren Körpern besiegt, doch wir würden damit unseren Planeten weiter zerstören.

Ewige Jugend oder verlangsamtes Altern hätte seine Vorteile, ohne Frage. Man könnte das Leben länger aktiv gestalten, noch mehr erleben. Doch diese Veränderung der Lebenszeitspanne der gesamten Menschheit würde sich zum Nachteil für unseren Planeten entwickeln und schlussendlich auch für uns. Wir würden vor enorme Herausforderungen gestellt werden. Die Suche nach einem neuen Zuhause für die gesamte Menschheit wäre von existenzieller Bedeutung.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf frage ich mich tatsächlich, wie sinnvoll ist die Suche nach einem „Stein der Weisen“, nach einem Jungbrunnen? Auch im Hinblick darauf, das wichtige Forschungsgelder in die Biogerontologie investiert werden, die genauso gut in die Forschung für ein Heilmittel gegen AIDS investiert werden könnten. Oder in Anbetracht dessen, dass wir selbst schon das beste Mittel für gesundes Altern in den Händen halten. Eine gesunde Ernährung und Sport sind immer noch die beste Garantie im Alter fit zu sein. Daher glaube ich nicht, dass der Schlüssel für ewiges Glück in der ewigen Jugend liegt.

 

Literaturverzeichnis:

Wikipedia. (2016). Biogerontologie. Abgerufen am 09.11.2017 von

https://de.wikipedia.org/wiki/Biogerontologie

Gems, David (2009). Eine Revolution des Alterns: Die neue Biogerontologie und ihre

Implikationen. In S. Knell & M. Weber (Hrsg.), Länger leben? Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven (S.1-12). Abgerufen am 09.11.2017 von

http://www.ucl.ac.uk/~ucbtdag/Gems_German_2009.pdf

Weiß, Bertram (11.06.2013). „Ewiges Leben wäre möglich, aber wenig sinnvoll“. Tagesspiegel. Abgerufen am 09.11.17 von http://www.tagesspiegel.de/wissen/tod-und-evolution-ewiges-leben-waere-moeglich-aber-wenig-sinnvoll/8333480.html

Schäfer, Burkhard (13.01.2016). Den Tod besiegen? Wie Google & Co das Leben verlängern wollen. Deutschlandfunk. Abgerufen am 09.11.17 von

http://www.deutschlandfunk.de/den-tod-besiegen-wie-google-co-das-leben-verlaengern-wollen.2540.de.html?dram:article_id=341686

 

Die Micro-Europa-Sendung zum Thema „Memento Mori“ – am Sonntag, 26. November, von 12 bis 13 Uhr auf der Wüste Welle: übers Radio auf 96,6 oder über den Live-Stream. Schaut auch bei Facebook unter Micro-Europa Tübingen vorbei!
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