Erwin Koch: Was das Leben mit der Liebe macht (58)
Ein Buchtipp zur Mai-Sendung „Lebenslinien“
Der Schweizer Erwin Koch ist Journalist und Reporter, er schrieb und schreibt für die ZEIT, GEO, Süddeutsche, Spiegel und viele andere. Zweimal hat er bereits den Egon-Erwin-Kisch-Preis erhalten. Doch Erwin Koch ist auch Schriftsteller; für sein Romandebüt Sara tanzt wurde er 2003 mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet; weitere Romane folgten.
2011 erschien der Kurzgeschichtenband Was das Leben mit der Liebe macht, in dem Koch „wahre Geschichten“, Liebesgeschichten erzählt. Liebesgeschichten, die nicht in Hollywood-Klischees verfallen, an deren Ende sich niemand glücklich in die Arme sinkt. Sondern Geschichten, deren brutale Realität den Leser bis ins Mark erschüttert.
Eine Geschichte von Nähe und Distanz
Wie die Geschichte Verliert der Nussbaum schon sein Laub? Angela und Andrei, die Micro-Europa im Mai in einer Hörspielfassung von Kiron Patka sendet. Es ist eine Geschichte von Nähe und Distanz. Angela und Andrei leben im ärmsten Land Europas, in Moldawien, an der „Ostkante“ Europas. Die emotionale Nähe der beiden Liebenden zueinander ist bedingungslos, sie halten eisern aneinander fest. Als 17-Jähriger wartet Andrei ein Jahr lang auf die 15-jährige Angela, die zur Ausbildung in die Ukraine gezogen ist. Kurz darauf wartet sie 22 Monate lang auf ihn, während seines Wehrdienstes in der Sowjetunion. Endlich verheiratet, findet er nur Arbeit im weit entfernten Sibirien.
Ihr Leben, begleitet vom beständigen Kampf um die materielle Existenz, verbringen sie zum großen Teil getrennt voneinander, auch immer wieder getrennt von ihren Kindern, auf der Suche nach Arbeit und ein klein wenig Wohlstand. Und doch verzichten beide lieber auf eine Niere, als einander loszulassen. Angela reist schließlich illegal nach Italien und verdingt sich dort als Altenpflegerin. Die paar Hundert Euro reichen, um ihr Haus in Moldau in ein Paradies zu verwandeln. Bis Angela in der Fremde todkrank wird.
Mehr Dokument als Erzählung
Erwin Koch schwelgt nicht in Gefühlen. Der Erzähler betrachtet das Geschehen distanziert von außen, berichtet in einem äußerst verknappten Stil, nüchtern, ohne anzuklagen oder mitzufühlen. Der Text dokumentiert vielmehr, er nennt Zahlen und Daten bis ins Detail; wir erfahren Uhrzeiten und Entfernungen, Passnummer und Blutgruppe. Der Erzähler ist ganz nah an der Außenseite der Figuren, doch ins Innere der Figuren blickt er nicht. Dieser dokumentarische Sprachstil scheint unvereinbar mit der Intimität der Geschichte, und gerade das macht die Intensität des Textes aus. Ein Buch voller Geschichten, die niemanden unberührt lassen werden.
Hardcover: Erwin Koch, Was das Leben mit der Liebe macht. Corso, Hamburg 2011. 132 Seiten, 19,90 € (nur noch gebraucht erhältlich)
Taschenbuch: Erwin Koch, Was das Leben mit der Liebe macht. List, Berlin 2013. 149 Seiten, 9,99 €